Branchentalk mit Christoph Schacht, Printess: „Geschwindigkeit ist heute einfach King“
Christoph Schacht ist einer von drei Gründern der Printess GmbH & Co. KG aus Teupitz in Brandenburg. Bereits 1997 war der Berliner ein Co-Founder von DirectSmile, wo er Pionierarbeit im Bereich der Bildpersonalisierung geleistet hat. Nach dem Verkauf an EFI im Jahre 2014 war er im Konzern im Bereich Productivity Software und Web2Print Solutions tätig. Mit dem Start-Up Printess ist er nun mit seinen Mitgründern angetreten, den modernsten und flexibelsten Online-Editor zu entwickeln, um Druckprodukte im Browser zu personalisieren.
Eine gekürzte Fassung dieses Interviews lesen Sie in der aktuellen NordOst-Ausgabe des NUTZEN Magazins 01/2023. Das gesamte digitale Heft können Sie online lesen oder als PDF-Datei herunterladen.
Warum wurde Printess in Teupitz in Brandenburg gegründet und nicht im hippen Berlin, wo viele andere Start-ups zu Hause sind?
Nach jahrelangem Stadtdasein haben wir es genossen, in die Provinz zu gehen. Wir sind jetzt also Neu-Brandenburger. Eine Rolle hat auch die Förderlandschaft in Brandenburg gespielt. Die ist besser als in Berlin. Und wir hatten bereits ein sehr schönes Firmengrundstück direkt am See. Wir genießen es zum Beispiel, mit Kunden, Mitarbeitern oder Freunden einfach auch mal unkompliziert ein Barbecue machen zu können.
Was steckt hinter Printess und was ist der USP?
Hinter Printess stecken 20 Jahre Erfahrung, was Kunden im Bereich Personalisierung brauchen. Wir wissen, dass heute keine monolithischen Produkte mehr gefragt sind. Also kein Rundum-Komplettpaket, bestehend aus MIS, Shopsystem und Personalisierungsmöglichkeit. Wir haben gelernt, dass allein die Personalisierung eine so große Aufgabe ist, dass man damit bequem eine Firma gründen kann. Und so ist Printess entstanden. Die Herausforderungen kannten wir bereits, zum Beispiel Mobile Friendliness oder Skalierbarkeit. Ein Beispiel: Viele Produkte sind Saisonartikel. Nehmen wir einen Adventskalender. Der wird binnen weniger Wochen am Jahresende verkauft, dann aber möglicherweise in großen Stückzahlen. Unsere Lösung kann das, weil sie Cloud-native ist. Auf dieser Grundlage ist es egal, ob ein Kunde zehn Produkte am Tag verkauft oder zehn Millionen. Das macht uns einzigartig.
Wie stark ist der Trend hin zu Mobile? Und wie wichtig ist es, große Datenmengen verarbeiten zu können?
Unsere Lösung besteht aus zwei Teilen. Erstens der Editor, mit dem sich Templates erstellen lassen. Also online individualisierbare Vorlagen, die später von den Kunden gefüllt werden. Der Editor ist wie ein InDesign im Browser – eine sehr leistungsstarke Layoutlösung. Damit arbeiten üblicherweise professionelle Grafiker. Unsere zweite Lösung ist die vom Endkunden zu bedienende Personalisierungslösung, die auf dem Template basiert. Und diese ist absolut Mobile-orientiert. Wir haben eine Datenbank mit ungefähr 1.200 Geräten bestückt, davon etwa 1.000 verschiedene Handymodelle. Bei Business-to-Customer Shops wissen wir, dass inzwischen ungefähr 75 Prozent der Kundschaft die Produkte an einem mobilen Endgerät konfigurieren, in aller Regel am Handy. Die Zeit von reinen Desktoplösungen ist vorbei, damit hat man keine Chance mehr. Und ja, auch die Verarbeitung großer Datenmengen ist enorm wichtig. Wir bewegen ein paar Terabyte an Daten, die auf Kundenseite hochgeladen werden, denn es geht in den meisten Fällen um Fotoprodukte.
Welche Infrastruktur steht dahinter? Und wie behandeln sie personenbezogene Daten, die besondere Anforderungen an den Datenschutz haben?
Printess läuft ausschließlich in der Cloud und zwar ohne das sich der Kunde um Installation, den laufenden Betrieb oder die Skalierung kümmern muss. Datenschutz hat bei uns höchste Priorität, keine Frage. Neben Verschlüsselung, Datensparsamkeit und automatischer Löschung der Kundendaten nach der Produktion setzen wir auf Cloud Technologien vom Marktführer AWS Europe (Anm. d. Red.: „Amazon Web Services“). Unter Anderem auch aus Datenschutzgründen. AWS Europe hat uns einen DSGVO-konformen Betrieb innerhalb Europas ermöglicht. Für große Kunden mit besonderen Anforderungen kann es Sinn machen, das System in einer eigenen Private Cloud zu betreiben. Das lohnt sich allerdings erst bei mehr als ca. 10 Millionen Produkten pro Jahr.
Was machen Sie heute anders als noch mit DirectSmile?
Mit DirectSmile waren wir ein ganz klassisches B2B Unternehmen mit einem klassischen Vertrieb und technischem Support. Wir haben vor allem individuelle Projekte und Anpassungen für Kunden gemacht. Davon wollten wir mit Printess wegkommen. Heute gibt es nur ein Produkt für alle Kunden. Wir sind offen und transparent in der Hinsicht, dass selbst unsere täglichen Entwicklerversionen sofort verfügbar für alle Kunden sind. Warum sollen nicht alle alles wissen? All unsere Kunden können das, was noch nicht offiziell verfügbar ist, bereits ausprobieren. Und genauso handhaben wir es mit dem Handbuch und mit der technischen Dokumentation: Es ist alles frei verfügbar. Uns spart das unter dem Strich Geld und unsere Kunden macht es glücklicher. Keiner muss mehr umständlich nachfragen. Wir haben uns viele Gedanken darüber gemacht, ob das ein strategischer Nachteil für uns ist. Schließlich kann auch die Konkurrenz alles mitlesen. Wir glauben jedoch, dass wir einen Vorsprung behalten, solange wir schnell genug sind.
Das Gespräch führten Christoph Schacht (links) und Philipp von Trotha, Geschäftsführer des VDMNO (rechts) am 6. Februar in der Geschäftsstelle des VDMNO in Berlin.
Klingt nach Silicon Valley Mentalität. Man bleibt in Bewegung, wenn man dem Wettbewerb stets einen Schritt voraus sein will …
Wir haben bei Printess keine Vertriebler mehr, weil wir sie nicht mehr brauchen. Vertriebler tragen ja Informationen zum Kunden. Wir sind lieber aktiv und maximal offen. Diese Offenheit führt zu glücklichen Kunden. Unsere Kunden können alles lesen und dann eine qualifizierte Entscheidung treffen. Uns macht es auch nichts aus, wenn ein Kunde unsere Lösung nicht für all seine Produkte benutzt. Wenn unsere Lösung vielleicht für fünf Produkte super passt, für den Rest aber nicht, dann ist das okay. Wenn wir für eine Anforderung mal nicht passen, dann sagen wir das auch.
Diese Form der Transparenz passt ja eigentlich in die Zeit. Welches Kundenfeedback bekommen Sie?
Das Feedback ist durchweg positiv. Wenn, dann fremdeln die großen Kunden eher damit. Sie sind sonst eine größere Exklusivität gewohnt, die es in unserem Modell einfach nicht geben kann. Aber auch diese Kunden sehen ein, dass dadurch alles schneller wird. Geschwindigkeit ist heute einfach King.
Sie sagten einmal, dass die Digitalisierung eine Jahrhundertchance für die Druckindustrie ist. Wie meinen Sie das?
Der ganze Markt wird durchlässiger und transparenter. Jeder kann sich heute im Internet Informationen holen, einen Account anlegen und sofort loslegen – und zwar ohne große Initialkosten, weil fast alles „as a Service“ funktioniert. Das gilt auch für die Druckbranche. Natürlich muss man sich selbst viele Fragen stellen. Was sind eigentlich meine Werte? Worin bin ich besonders gut? Auf welche Produkte bin ich spezialisiert? Was zeichnet mich aus? Ein daraus entwickeltes digitales Geschäftsmodell wird zu einer hohen Verfügbarkeit führen und die Chancen am Markt enorm erhöhen. Der kleine Drucker hat heute deswegen deutlich bessere Chancen, über seine Regionalität hinauszukommen. Das ist ganz klar die Chance der Digitalisierung.
Wird die Druckindustrie in Zukunft noch gebraucht?
Als damals E-Book Reader aufkamen hat auch jeder gefragt, ob in Zukunft noch jemand ein Buch kaufen wird. Ja, natürlich! Es gibt große Dinge, die nur die Druckindustrie schaffen kann, weil sie digital nicht möglich sind. Das haptische Erlebnis oder die Möglichkeit, sich gemütlich in die Ecke setzen zu können mit einem Buch oder einer Broschüre. Oder das Erlebnis des Verschenkens. Denken Sie an all die Produkte, die man zum Geburtstag verschenkt, wo Papier werthaltig wird. Sie sind eine persönliche Botschaft, die man überreicht – und die gewissermaßen das selbstgemalte Bild ersetzt, was man früher mal von seinen Kindern bekommen hat. Das geht jetzt über alle Altersgrenzen hinweg und man kann tolle Erinnerungen schaffen. Ich glaube, es gibt extrem viele Anwendungen für Druck und die werden auch nicht verschwinden.
Christoph Schacht beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Personalisierung. Mit zwei weiteren Mitgründern führt er die Geschicke von Printess.
Ich sehe eigentlich viele Zukunftsthemen für die Druckindustrie. Es fallen Geschäftsmodelle weg, aber es kommen auch Neue hinzu. Eigentlich könnte man viel Positives am Horizont sehen. Dennoch hängt der Digitalisierung in unserer Branche eher etwas Negatives an. Wie nehmen Sie das wahr?
Wer am Altbewährten festhalten will, wird überrollt. Das war aber schon immer so. Es ist ein grundsätzliches Mindset. Welche neuen Möglichkeiten habe ich denn? Welche neuen Produkte kann ich herstellen? Für mich ist die Individualisierung der große Trend. Warum kann ich beispielsweise ein Auto sehr individuell konfigurieren, bekomme dann aber immer den gleichen Wälzer als Handbuch? Warum ist das Handbuch nicht mein Handbuch? Es gibt so Vieles, was individueller und kleinteiliger wird – und trotzdem Print bleibt. Der IKEA Katalog wird vermutlich nicht zurückkommen. Es macht doch auch keinen Sinn bei verkürzten Produktzyklen. Nach einem Jahr gibt es ein Produkt vielleicht gar nicht mehr, dafür gibt es aber drei Neue. Mal ganz abgesehen vom Umweltaspekt, wenn drei Viertel der Adressaten den Katalog ungesehen wegwerfen. Gerade ergeben sich jetzt überall Chancen für Print. Print muss schnell sein, Print wird verschenkt, mit Print lässt sich persönliche Wahrnehmung sehr gut ausdrücken. Es ist eine Frage der Betrachtung, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Ich stehe natürlich auf der digitalen Seite, deswegen ist das Glas für mich halb voll, eigentlich sogar noch voller.
Warum tut sich die Druckindustrie so schwer mit der digitalen Transformation der Branche?
Das würde ich noch nicht einmal so sagen. Es gibt durchaus viele Marktteilnehmer, die die Digitalisierung sehr begrüßen und erkennen, welche neuen Geschäftsmodelle sich eröffnen. Probleme bekommen Betriebe, in denen es keine Digitalkompetenz gibt und keine Weichenstellungen in Richtung eines Generationswechsels, durch den Digitalkompetenz auf natürliche Weise ins Unternehmen kommt. Es muss der Wille sein, digitale Kompetenz aufzubauen, denn sonst wird man unglücklich sein mit dem Gefühl, immer nur abzugeben.
Warum fällt es denn vielen UnternehmerInnen in der Druckindustrie im Vergleich zu anderen Branchen so schwer, in innovative Geschäftsmodelle und Dienstleistungen zu investieren?
Ich weiß gar nicht, ob andere Industrien unbedingt schneller waren oder ob der Veränderungsdruck woanders einfach größer war. Menschen finden es per se einfach toll, genau das weiterzumachen, was sie kennen. Die Dinge werden oft erst dann angepackt, wenn das Haus bereits brennt. Wenn wir einen Blick auf die Verpackungsindustrie werfen, dann ist die Digitalisierung dort noch recht weit am Anfang. Auf Kundenseite kommt auch dort eine neue Generation, die mit den alten Abläufen nichts mehr anfangen kann. Die wollen 3.000 Stück von einer Verpackung, haben aber keine Lust, fünf Monate lang darauf zu warten, umständlich zu mustern und sich vorher noch mit einem Grafiker zu besprechen. Die möchten das unmittelbar am Computer machen und kurzfristig für die neue Kosmetikserie die Verpackung auf dem Tisch haben. Das sind die neuen Ansprüche. In der Druckbranche war das Geschäftsmodell bisher sehr einfach. Da wurde für einen Betrag X eine Maschine gekauft, die dann täglich einen Betrag Y zurück verdient. Und jetzt wird alles komplexer und man muss viel kleinteiligere Lösungen entwickeln. Und dafür braucht man ganz neue Kompetenzen. Man braucht Kundengewinnungsstrategien und muss auch mal außerhalb der Box denken.
Geht es darum, mehr in Menschen zu investieren als in Maschinen?
In Menschen und in Automatisierung, also in Abläufe. Früher war der Mensch dafür da, dass der Auftrag durch die Firma läuft. Heute ist der Mensch dafür da, dass der Auftrag in die Firma kommt.
Wie schätzen Sie die Chancen von Conversational Commerce in der Druckindustrie ein? Im meine damit den Einsatz von Kommunikationsmedien wie Messaging Diensten im eCommerce. In Asien beispielsweise kann man beobachten, dass komplette Verkaufsprozesse über WhatsApp abgewickelt werden.
Grundsätzlich finde ich, dass der Kunde die Wahl des Kommunikationsmittels haben sollte. Ich finde jedoch – und das wird Sie vielleicht erstaunen – dass das im Sales auf keinen Fall so sein sollte. Der sollte schön automatisiert sein und gesteuert über den Kanal, über den man ihn haben will. Das kann durchaus Facebook sein. Davon unabhängig ist, wie das Marketing dann funktioniert. Das können je nach Zielgruppe auch sehr schräge Kanäle sein.
Wie sieht die Druckindustrie in 20 Jahren aus? Haben Sie da eine Vorstellung?
Der Trend der Kleinauflage wird sich fortsetzen und das Ende der Fahnenstange ist dann Auflage eins. Ich denke, dass es in Zukunft einen viel höheren Anteil von Auflage-1-Produkten geben wird. Offset wird deswegen nicht sterben, schließlich gibt es noch immer ganz viele andere Anwendungsbereiche, wo das Verfahren sehr gut passt. Auch Streuprodukte wird es weiterhin geben. Aber die hochwertigen Produkte werden immer mehr in Richtung Auflage eins gehen. Egal was es ist, alles wird in gewisser Weise ein Geschenk sein.
Was ist die Vision für Printess?
Unser Ziel ist es, ein großer Player im Bereich Editierung werden. Wir wollen auf Dauer eine der besten Lösungen bieten und uns ständig weiterentwickeln. Wir sind angetreten, um so gut zu werden wie die spezialisierten Lösungen, die nur große Unternehmen mit ihren finanziellen Mitteln entwickeln können. Kleinere Unternehmen können das nicht, aber ich finde, sie haben dieselbe Technologie verdient. Eine Lösung, die sich sehr gut bedienen lässt und auf allen Geräten funktioniert. Wir glauben, dass als Folge der Digitalisierung jeder Kunde ganz andere Bedürfnisse haben wird. Wenn sich alle im Markt behaupten wollen, dann heißt das, dass nicht alle Briefpapier drucken werden, sondern jeder sehr individuelle Produkte erstellen wird. Trotzdem werden alle trotzdem ähnliche Ansprüche haben, nämlich Automatisierung und Kostenreduktion. Deshalb ist es wichtig, unsere Lösung so klein wie möglich zu halten. Dann hat der Kunde die Chance, sich die richtigen Dinge für seinen individuellen Businessplan zusammenzustellen.
Um gut gerüstet in die Zukunft zu gehen: Braucht die Druckindustrie weiterhin einen Branchenverband?
Spannende Frage. Wir sind gerade Mitglied geworden, auch wenn es ein bisschen Überzeugungsarbeit gebraucht hat. Eigentlich empfinden wir uns als viel zu schnell für so einen Verband. Die landläufige Meinung ist sicher, dass Verbände träge sind und in der Hauptsache ihre großen Mitglieder vertreten. Ich glaube, die Schere zwischen großen und kleinen Betrieben wird weiter auseinandergehen, gerade im Druckbereich. Ein Verband muss deshalb auch kleinteilig agieren. Für die Standardprodukte wird es eine immer größere Konzentration am Markt geben, dort ist die Kostenführerschaft entscheidend. Es wird aber auch ganz viele kleine, innovative, neue, verrückte, nicht klassische Unternehmen geben. Und diese werden den Nutzen eines Verbandes für sich deutlich hinterfragen. Redet der Verband über Dinge, die mich interessieren oder kümmert er sich um Themen, die nicht mein Erfolgsfaktor sind? Der Verband muss eine Kommunikationsplattform sein, wo sich Unternehmer aus großen und kleinen Betrieben treffen können. Es ist wichtig, dass die Leute sich treffen und sich unterhalten, um sich gegenseitig mit Ideen zu inspirieren.
Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit Printess!
Dankeschön für die Einladung.
Das Interview führte Philipp von Trotha