„Es geht um Prozesse und um Daten, Daten, Daten“
In unserem NUTZEN-Branchentalk sprechen wir regelmäßig mit Persönlichkeiten aus der Branche über Chancen und Herausforderungen in der Druckindustrie. Frank Siegel, Inhaber und Geschäftsführer der Obility GmbH, digitalisiert seit Jahrzehnten die Geschäftsprozesse von Druckereien. Als Referent berichtet er in seiner Keynote „Die Macht der richtigen Einstellung“ über die Eigenschaften, die wir in Zeiten des schnellen Wandels brauchen, um am Markt zu bestehen. Ein interessanter Gesprächspartner mit einem spannenden Blick auf die Entwicklung der Druckindustrie.
Herr Siegel, wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Ich bin Unternehmer und als solcher ein sehr neugieriger und nachdenklicher Mensch. Ich denke über viele Dinge in der Branche nach, weil ich viel mit unseren Kunden über unsere Branche spreche. Man sagt auch, ich sei eine Rampensau, weil ich sehr gerne über das spreche, was ich denke. Zum Beispiel in meiner Keynote „Die Macht der richtigen Einstellung“. Vorne stehen und die Leute mitnehmen, das ist mein Ding und das macht mir Spaß.
Wie lange sind Sie schon in der Branche?
Eigentlich bin ich schon seit meiner Kindheit in der Branche. Mein Vater war Drucker und hat als Abteilungsleiter in einer Druckerei gearbeitet. Dort habe ich alle möglichen Ferienjobs gemacht. Meine Großmutter hat in einer Bank gearbeitet. Irgendwann hat sie zu mir gesagt: „Komm, Junge, Du musst auch mal was anderes machen. Den nächsten Ferienjob machst du hier in der Bank.“ Also habe ich mich fein gemacht und bin hingegangen. Weil aber so viele andere Ferienjobber schneller waren, konnte man mir keinen Bürojob mehr anbieten und schickte mich kurzerhand in die Hausdruckerei. So wurde ich irgendwie immer in die Druckindustrie hineingezogen, dem konnte ich mich nicht entziehen. Während meines späteren Studiums habe ich eine Zeit lang in der Marketingabteilung einer Firma in den USA gearbeitet - auch dort war es meine Aufgabe, die Absprachen mit den Druckereien zu treffen. Irgendwann hat mein Vater dann einen grafischen Fachhandel eröffnet, und da war ich endgültig dabei.
War das während des Studiums?
Ja, ich hatte bereits einen Abschluss in Betriebswirtschaft und studierte Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Informatik. Als mein Vater mir vorschlug, in sein Unternehmen einzusteigen, entschied ich mich für die Selbstständigkeit. Ich habe mich um den kaufmännischen Bereich gekümmert und später einen Geschäftsbereich für digitale Druckvorstufe aufgebaut, aus dem Printdata, ein Systemhaus für Digitaldruck, hervorgegangen ist.
Wann kamen Web-to-Print und ERP dazu?
Schon damals war mir klar, dass digitale Daten ganz neue Geschäftskonzepte ermöglichen. Deshalb haben wir uns intensiv mit Web-to-Print und Print-Shops beschäftigt. Als wir auf die Firma M/S Visucom stießen, nahm das Ganze Fahrt auf. Unter dem Namen Obility haben wir deren Software in der Druckindustrie eingeführt. Und weil damit auch die Auftragsabwicklung browserbasiert und automatisiert erfolgen konnte, waren unsere Kunden plötzlich in der Lage, mit wenigen Mitarbeitern Hunderte von Aufträgen pro Tag abzuwickeln.
Wie ist daraus Obility als Print ERP entstanden?
Die Kunden wollten die Vorteile auch im klassischen Geschäft nutzen. Deshalb wurden wir gebeten, ein Print ERP zu entwickeln. Als ich das Angebot von MS Visucom bekam, habe ich Printdata meinem Partner überlassen und die Marke Obility mitgebracht. Seitdem arbeiten wir für die Druckindustrie und bieten Druckereien jeder Größe eine browserbasierte, modulare Plattform für die effiziente Abwicklung aller Geschäftsprozesse, inklusive ERP, Produktionssteuerung und eCommerce, unabhängig vom Druckverfahren.
Haben Sie damit zu kämpfen, dass Obility weiterhin als Shop-Anbieter wahrgenommen wird?
Ja, damit haben wir zu kämpfen, aber wir kommen langsam aus dieser Ecke heraus. Wir wurden immer von unseren Kunden getrieben und haben uns ständig weiterentwickelt. Irgendwann habe ich mich daran erinnert, was schon ganz am Anfang an der Software so gut gefallen hat. Und das war die Tatsache, dass man schon damals die Auftragsabwicklung komplett automatisieren konnte. Wir haben Kunden, die bis zu 1.000 Aufträge pro Tag online erfassen und mit nur drei Mitarbeitern im Innendienst abwickeln. Dem stehen 15 Aufträge gegenüber, die mit drei Mitarbeitern über das klassische MIS abgewickelt werden. Solche Kunden sind auf uns zugekommen. Sie sagten: „Wir wissen, dass unser klassisches Geschäft als Offsetdruckerei nie 1.000 Aufträge am Tag bringen wird, aber könnt ihr uns nicht modulare Tools an die Hand geben, zum Beispiel eine schnellere Kalkulation?“ Wir wurden von unseren Kunden zu unserem heutigen Komplettsystem getrieben. Seit 2017 haben wir uns mit unserem Leistungsportfolio auch offiziell neu ausgerichtet.
Themenwechsel: Ist die Digitalisierung für die Druckindustrie insgesamt eher eine Chance oder eine Bedrohung?
Digitalisierung ist eine Überlebenschance. Die Digitalisierung ist eine der drei größten Veränderungen der Menschheit und wir befinden uns im Epizentrum. Nur wer die Digitalisierung annimmt, wird überleben - egal ob Fensterputzer oder Druckerei. Wir werden unsere Arbeit mit digitalen Lösungen machen, der eine mehr, der andere weniger. In der Druckindustrie wird es natürlich den Offsetdruck geben, auch wenn die Auflagen weiter sinken werden. Aber die Druckverfahren werden sich weiter diversifizieren. Letztlich geht es bei der Digitalisierung immer um Prozesse und um Daten, Daten, Daten. Und dann sind wir natürlich ganz schnell beim Thema künstliche Intelligenz. Daran kommt niemand vorbei. Wer sich damit nicht beschäftigt, macht irgendwann die Tür hinter sich für immer zu.
Was unterscheidet im Kern innovative Druckereien von denen, die den Wettbewerb nicht überleben werden? Womit beschäftigen sich die zukunftsfähigen Betriebe? Was machen sie anders?
Hier kann ich direkt auf meine Keynote „Die Macht der richtigen Einstellung“ verweisen, in der ich genau diese Frage beantworte. Eine Haltung entsteht aus unseren Instinkten. Wir haben oft zuerst Angst. Und wir sind geprägt von unserem Umfeld, das uns Erfahrungen und Wissen vermittelt. Erst wenn wir in der Lage sind, eigene Erfahrungen zu machen, sind wir auch in der Lage, anders zu denken als unser Umfeld. Und wenn ich von Umfeld spreche, dann meine ich z. B. erfahrene Kollegen oder Mitarbeiter, die seit Jahren auf die gleiche Art und Weise arbeiten. Die Einstellung ändert sich, wenn man eigene Erfahrungen macht und eigenes Wissen sammelt. Oder man holt sich beides ins Unternehmen. Alle erfolgreichen Unternehmen, die ich kenne, haben Mitarbeiter, die sich mit IT und Digitalisierung auskennen. Digitalisierung ist Kooperation, ist Netzwerk, ist Web, ist Browser, sind Schnittstellen. Es geht nicht darum, einfach irgendeine Software einzusetzen. Die Erfolgreichen haben keine Angst und sind bereit, zu investieren und die ersten Schritte zu gehen. Sie lassen sich von Rückschlägen nicht gleich entmutigen und feiern die kleinen Erfolge.
Ist es also richtiger, in Menschen zu investieren als in Maschinen?
In Menschen und in digitale Systeme. Beide müssen zusammenspielen. Aber sicherlich ist der Mensch die wichtigere Komponente. Manchmal wird kurzerhand ein Nerd ins Team geholt, nach dem Motto: „Der macht das schon“. Das funktioniert natürlich auch nicht. Man muss das Ganze systemisch betrachten. Es geht um Change Management, um Entwicklung. Ein Chef muss seine Mitarbeiter auch mal zu einer Veranstaltung schicken. Es ist wichtig, den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, sich weiterzuentwickeln oder neues Wissen reinzuholen und damit Ängste abzubauen.
Es geht also um Führungskultur?
Unternehmenskultur ist Führungsaufgabe. Es braucht Verständnis in der Unternehmensführung. Und ein Unternehmensleiter, der dann sagt, „das interessiert mich nicht mehr“, der wird auch keine Zukunft haben. Und wer klein anfängt und sich ernsthaft damit auseinandersetzt, der hat auch alle Chancen. Das versuche ich auch in meiner Keynote auszudrücken. Ich bin jetzt seit über 30 Jahren im Geschäft und habe mich immer mit der Digitalisierung von Unternehmen in der Druckindustrie beschäftigt. Ich habe immer wieder Menschen getroffen, die sich mit der Digitalisierung schwertun, die sie ignorieren oder ablehnen. Und ich glaube, dass viele Unternehmen, die in der Vergangenheit untergegangen sind, genau daran gescheitert sind. Ich sage aber auch, dass es in der gleichen Zeit Unternehmen gab, die trotz oder sogar wegen der Digitalisierung gewachsen sind oder sich neu erfunden haben.
Wie wichtig ist die Organisation der Branche über die Verbände?
Ich bin seit vielen Jahren sehr verbandsorientiert. Aber Hand aufs Herz: Die Entwicklung der Branche muss sich natürlich auch in den Verbänden widerspiegeln. Wenn sich ein Verband zu sehr an seinen bestehenden Mitgliedern orientiert, läuft er Gefahr, sich nicht weiterzuentwickeln und für neue Mitglieder unattraktiv zu werden. Zugespitzt formuliert: Ein solcher Verband bleibt dann bei den Mitgliedern, die er verdient. Es gibt auch brutal viele Quereinsteiger, und die haben eine ganz andere Denk- und Herangehensweise. Die müssen neu angesprochen werden. Ein Verband muss grundsätzlich Hilfestellung bei aktuellen Themen geben. Wie komme ich an IT‘ler heran? Wie mache ich Change Management? Wie bilde ich meine Mitarbeiter weiter? Ich glaube, es ist heute auch wichtiger denn je, sich auszutauschen, weil wir alle immer weniger aus dem Homeoffice oder dem Firmengebäude herauskommen. Wir müssen es oft einfach nicht mehr. Da geht auch einiges verloren. Aber Begegnungen haben einen enormen Wert. Sich zu zeigen, sich zu präsentieren, von anderen etwas zu bekommen, auch mal irgendwo Lob und Anerkennung zu bekommen. Das ist wichtig. Und da spielt der Verband eine wichtige Rolle. Der Verband ist die Plattform für Coopetition, also Zusammenarbeit unter Wettbewerbsbedingungen. Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder, der Geschäfte macht, sich auch organisieren sollte.
Was sollte uns Mut machen für die Zukunft?
Wir sollten uns auf das Wesentliche besinnen. Unternehmer zu sein hat etwas mit Risikobereitschaft zu tun, mit Kreativität, mit Neugier, mit Flexibilität. Und wenn wir als Entscheider in der Druckindustrie diese Eigenschaften mitbringen, dann sind wir krisenfest und können optimistisch sein. Ja, die Druckindustrie wird sich weiter verändern. Ja, es wird auch weniger gedruckt werden. Aber es wird anders gedruckt. Was passiert, können wir sowieso nicht ändern. Also müssen wir uns ändern und dann können wir die Welt wieder ändern. Ich glaube fest an die Zukunft der Druckindustrie, aber wir müssen sie selbst gestalten.
Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch!
Das Interview führten Ronny Willfahrt und Philipp von Trotha